Wie lange dauert meine Trauer?

Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine der schmerzlichsten Erfahrungen, die wir im Leben durchmachen können. Die Trauer, die diesem Verlust folgt, ist eine natürliche Reaktion. Trauer ist normal, Trauer ist keine Krankheit. Doch wie lange dauert meine Trauer eigentlich und wann fühlt sie sich nicht mehr ganz so schwer an?

Trauern ist individuell

Die Trauer ist ein komplexer emotionaler Zustand, der von Mensch zu Mensch unterschiedlich erlebt wird. Ein allgemeingültiger Zeitrahmen für den Trauerprozess existiert nicht. Das bekannte Trauerjahr ist nichts weiter als ein hartnäckiger Glaubenssatz, der nahe legen will: nach einem Jahr ist’s aber auch gut mit der Traurigkeit – schließlich muss das Leben doch weitergehen… Das Leben geht weiter, nur eben anders als vor dem Verlust. Ein Jahr nach dem Verlust eines geliebten Menschen noch in Trauer zu sein ist vollkommen normal und in Ordnung.

Untersuchungen haben gezeigt, dass die Dauer der Trauer von verschiedenen individuellen Faktoren beeinflusst wird, darunter:

  1. Art der Beziehung: Die Art der Beziehung zur verstorbenen Person spielt eine wichtige Rolle. Je enger die Beziehung zum Verstorbenen war, desto länger wird auch die Trauerphase dauern. Auch die Rolle des Verstorbenen für das eigenen Leben trägt maßgeblich dazu bei, wie sehr wir trauern: wie sehr wir um den Menschen trauern und um all das, was wir mit ihm verlieren – die gemeinsame Zukunft, Pläne, Wünsche, Vorhaben, einen Teil unserer Identität. Eben alles, was unserem Leben einen Sinn gegeben hat. 
  2. Persönlichkeit: Unterschiedliche Persönlichkeiten bewältigen Trauer auf unterschiedliche Weise. Manche Menschen neigen dazu, ihre Gefühle intensiver zu durchleben und benötigen daher möglicherweise mehr Zeit, um zu trauern. Extrovertierte Menschen suchen verstärkt den Austausch mit anderen, um die Trauer zu bewältigen, introvertierte Menschen setzen sich lieber alleine mit ihrem Trauerschmerz auseinander. Und: es ist auch in Ordnung, nicht (sichtbar) zu trauern.
  3. Bewältigungsstrategien: Die Art und Weise, wie jemand mit Schmerz umgeht, kann die Dauer der Trauer beeinflussen. Manche Menschen suchen aktiv Unterstützung durch soziale Kontakte oder professionelle Hilfe, während andere eher zurückgezogen trauern. Manche empfinden es als heilsam, wenn sie ins Tun kommen: aktiv sein, in die Natur gehen, kreativ sein, Neues ausprobieren. Diesen Menschen kann es auch helfen, Veränderungen anzustoßen, also beispielsweise die Wohnung neu einzurichten. Andere wiederum brauchen Sicherheit und Stabilität und halten lieber am Alten fest; Veränderung wäre für diese Menschen in einer Trauerphase alles andere als hilfreich. 
  4. Unterstützungssystem: Wer Menschen um sich hat, die unterstützen und da sind, der wird schneller mit dem eigenen Trauerschmerz umgehen können. Alternativ ist die Trauerbegleitung ein hilfreiches Angebot für Trauernde: ob in einer Gruppe im sogenannten Trauercafé oder in der Einzelbegleitung- Die meisten Angebote rund um die Trauerbegleitung sind kostenlos, da sie von Ehrenamtlichen Trauerbegleiter:innen getragen werden. Und wie der Name schon sagt: es geht um die Begleitung, ums Da-Sein, Zuhören und Unterstützen. Den Weg muss der Trauernde aber selbst gehen, die Schritte muss jeder selbst machen. 
  5. Kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse: Kulturelle Normen und gesellschaftliche Erwartungen können ebenfalls Auswirkungen darauf haben, wie lange jemand trauert. Sätze wie: “Du musst loslassen”, “Das Leben geht weiter” oder “Du hast genug getrauert” verstärken den Trauerschmerz, weil sich die Trauernden nicht verstanden fühlen.  In anderen Kulturen bekommt die Trauer ganz selbstverständlich mehr Raum: Weinen, Schluchzen und Schreien sind in Ordnung, gehören mit dazu, werden ausgehalten und mitgetragen. Trauer braucht Raum und vor allem Zeit. Die Trauer aus dem Leben auszusperren wird nicht funktionieren. Sie ist Teil des Lebens, dieses neuen Lebens nach dem Verlust, und es ist wichtig, der Trauer einen Platz zu geben, den die Betroffenen akzeptieren können. 

Trauer hat viele Gesichter. Diese Gesichter zeigen sich in Gefühlen und Zuständen: in Wut, Angst, Verzweiflung, Sehnsucht, Erschöpfung, Schuld und in vielen anderen.

[…] Das Zulassen dieser verschiedenen Gefühle bewirkt, dass wir in einen Trauerprozess eintreten, in einen Entwicklungsprozess, durch den wir langsam – und sehr schmerzhaft – lernen, den Verlust zu akzeptieren und ohne den Menschen, den wir verloren haben, ohne das Gut, das wir verloren haben, aber mit allem, was dieser Mensch in uns geweckt, was dieses Gut in uns belebt hat – und das wir nicht verloren geben müssen, -uns wieder neu auf das Leben einzulassen”, schreibt Verena Kast¹. 

Trauer ist grundsätzlich keine Krankheit

Ein entscheidender Punkt ist, dass Trauer keine Krankheit ist. Es ist ein natürlicher Prozess, durch den wir gehen, um den Verlust zu akzeptieren und uns an unser neues, nicht selbstgewähltes Leben anzupassen.

Trauer kann auch körperliche und emotionale Symptome verursachen wie Schlaflosigkeit, Appetitverlust und Erschöpfung. Diese Reaktionen Teil des normalen Trauerprozesses sind.

Allerdings gibt es auch die sogenannte komplizierte oder pathologische Trauer. Betroffene trauern mitunter jahrelang sehr intensiv um eine verstorbene Person. Dann können sich psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln. Deshalb wurde diese sehr schwere Form der Trauer auch “als eigenständige Erkrankung in die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen”.²

Unsere Gesellschaft neigt dazu, Schmerz zu vermeiden und Trauer zu pathologisieren. Dabei ist es so wichtig, ein Verständnis für den natürlichen Trauerprozess zu fördern. Trauer braucht Zeit und Raum, um sich zu entfalten, und es ist ein individueller Weg für jeden Trauernden. Trauer ist in Ordnung.

Fazit

Wie lange dauert also meine Trauer? Die Dauer der Trauer ist so individuell wie jeder Mensch selbst. Es gibt keinen vorhersehbaren Zeitpunkt, an dem die Trauer abgeschlossen ist. Vielmehr ist es ein Prozess, der von vielen Faktoren beeinflusst wird, darunter die Beziehung zum Verstorbenen, die persönliche Verarbeitung und die Unterstützung des sozialen Umfelds. Trauer ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Teil des menschlichen Lebens. Es ist wichtig, sich selbst und anderen die Erlaubnis zu geben, die Trauer in ihrem eigenen Tempo zu durchleben und sie als einen Schritt auf dem Weg zur Heilung zu akzeptieren.

Quellen

¹Kast, V. (o.J.): Natürliche Trauer – komplizierte Trauer. URL: https://www.psychotherapie-wissenschaft.info/index.php/psywis/article/view/227/410
² https://www.pfizer.at/get-science/so-wirkt-sich-trauer-auf-koerper-und-psyche-aus 

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